Die Bassariden - Notizen zum Regieentwurf

Für den Anfang der Oper könnte ich mir vorstellen, dass wir während die Bassariden von Kadmos Rücktritt berichten und Pentheus den neuen König begrüßen. Zeuge der Inthronisationsriten des Pentheus sein könnten, so wenn Agaue ihren Sohn einkleidet, mit bindenhaften Tüchern wickelt, ihn sozusagen schon jetzt mumifiziert. Angesprochen wird das Verhältnis des Königs zu seiner Mutter, in dem er nach ihrem Gewand greift, die spätere Verkleidung vorbereitet und der Spiegel wird.

Beim Einbruch der dionysischen Gegenwelt, mit der Stimme hinter der Bühne, kommt Wind und Nebel auf; die Musik weht herein, manifestiert sich auf der Bühne; die Ankündigung des Gottes ist erkennbar nicht nur durch Lichtveränderung, sondern durch Luftbewegungen, die auch die Flamme auf dem Grab der Semele zum Tanzen bringen. Die Pentheus-Welt, in einem Nebelschleier verborgen, wird durch Dionysos-Wind aufgebrochen.

Die Verführung des Pentheus durch Dionysos geschieht durch Zauberei, Magie und Hypnose. Pentheus Wahnvorstellungen müssen auf der Bühne auch für das Publikum sichtbar werden.

Was Ästhetik und Signifikanz der Bilder anbelangt, sollte man auf Griechenland, auf griechische Mythologie und Mittelmeeratmosphäre zugunsten einer Bilderwelt, die draußen außerhalb des Duisburger und Düsseldorfer Opernhauses gegenwärtig ist, verzichten. Das bedeutet nicht realistische Übernahme, sondern ist spolienhaft, besteht aus wiedererkennbaren Elementen, die auch in den Requisiten bzw. in den Kostümen auftauchen könnten: der sakrale Raum einer stillgelegten Fabrikhalle oder eine Konzernzentrale, in der der Konzernherr Kadmos seine Macht und Befugnisse auf den Enkel Pentheus übertragen hat, damit dieser "den Laden" mit Disziplin und Härte noch effektiver führe.

Im Gegensatz dazu steht der Komplex "Grabmal der Semele", ein Bereich, der gegen das Ordnungs- und Effektivitätsdenken des Kadmos-Clan gerichtet ist. Davon geht Gefahr aus; das läßt sich nicht in Glas, Stahl und Beton fassen; das wuchert und schießt ins Kraut: diese geheimnisvolle unterirdische "Katakombe" enthält etwas Verbotenes, das aus der Welt des Rechtecks und der Geraden verdrängt worden ist, ausgeschieden, tabuisiert, aber unterirdisch weiterbrodelt und pulsiert. Schrott verdrängter Kult- und Kulturgüter, Konsum- und Zivilisationsmüll, Obsession und Triebstrukturen, die um Ende hochkochen in den besiegten Gesetzes- und Ordnungsraum quellen, wo sie von dem nicht-wissenden-wollenden Volk als neues Ordnungs- und Kulturprinzip akzeptiert werden. Spraydosen befinden sich darunter, mit denen die Bassariden die Wände mit nicht entzifferbaren Zeichen besprühen.

Die Welt der Semele ist Grabmal, Katakombe, Gruft und Krypta. Sie liegt unten im Bühnenboden verborgen - ein umgedrehter Venusberg. Dagegen die Schaltzentrale des Pentheus, seine Administration und Verwaltung. Sie befindet sich in den obersten Stockwerken, von wo man Aussicht hat, Übersicht und Kontrolle.

Das könnte der Bildrahmen sein, in dem das psychologische Drama und die individuelle Katastrophe des Muttersohns Pentheus. des "Leidensmannes" stattfindet. Selbst wenn es sich bei den Bassariden um Ausfluss griechischer Mythologie, um phylogenetische Urzeitentwicklung handelt, so beschreibt die Oper doch zugleich individuelle Wesensentwicklungen und Bewusstseinsprozesse: Vom abhängigen Kind über den jungen, unsicheren Mann, der sich von der Mutter lösen muss, um zur reifen männlichen Identität zu finden. Verharrt er auf einer tieferen Stufe, findet Ablösung nicht statt, kommt es zu sadistischen und machtbesessenen Charakterbildungen. Auch Pentheus ist ein unerlöster Muttersohn. Er erleidet das Schicksal aller Söhne der "großen Mutter", kastriert und zerrissen zu werden. Abzustellen ist auf seine Beziehung zu Agaue, zu seiner Mutter, sowie ihre Beziehung zu ihm, ihrem Sohn. Die gegenseitige Abhängigkeit und Aufeinanderbezogenheit, das stille Einverständnis der beiden, ihre Sehnsüchte und Wünsche, die die machtlose Mutter auf den mächtigen Sohn überträgt. Parallel dazu läuft die Suche des Sohnes nach eigener Identität im Spiegel, sein angstbesetzter Versuch der Macht, die die Mutter über ihn besitzt, zu entkommen. Das "Spiegelzimmer" kommt immer wieder aus dem Bühnenboden herauf an die Oberfläche, bietet ihm mehr, als nur die Möglichkeit seine Erscheinung zu überprüfen, konfrontiert ihn mit der Mutter und ihrer Beziehung zu dem abwesenden früh verstorbenen Vater; beide sind noch in Form archetypischer Kleidungsstücke anwesend: ihr Brautkleid, ihm gilt die Sehnsucht des Sohnes; seine Uniform des Vaters - Ausdruck von Autorität und Macht, vor der der Sohn sich ängstigt.

Katalysator dieses Dramas ist der Fremde, Dionysos, der Gott, das alte Ego, die Kehrseite der Medaille, mit der Pentheus verschmelzen muss, um sich bewusst zu werden, endlich seine Identität, sein Schicksal zu finden. Deshalb treiben ihn die Mänaden immer wieder in das Spiegelzimmer zurück, verfolgen ihn dorthinein, wo er auf niemand anderen mehr trifft, als auf sich selbst.


Bernhard Sinkel

  1. Die Inszenierung


  2. Regieentwurf Teil 12


  1. Ausschnitt 1 und 2